Die lebhafteste Stadt der Welt
Das Land der Farben, Düfte und Gewürze. So habe ich mir Marokko vorgestellt. Bereits als Kind erzählt mir mein Papa Geschichten über die Färbereien und Gewürzmärkte von diesem fernen afrikanischen Land. Ein Land, das so lebendig ist - da muss ich hin. Rund zehn Jahre später ist es so weit. Ich sitze im Flugzeug Richtung Marrakesch. Ab morgen früh bin ich nicht alleine. Das ist nämlich der Grund, weshalb ich bis jetzt noch nicht hier war - denn alleine in Marokko hätten mich meine Elten nicht gerne gewusst. Also habe ich meinen Bodyguard mit: mein Freund Henri, der zwar männlich ist, aber durch seine blonden Haare und Größe sicher nicht weniger auffällt als ich als Frau.

Als ich den Flughafen von Marrakesch an diesem Samstagnachmittag verlasse, bin ich überrascht. Kein Taxifahrer schiebt mir ein Schild ins Gesicht, ich werde nicht
mit rufen wie "Taxi, Miss?" bombardiert und die Atmosphäre ist so gelassen wie selten,
wenn man außerhalb Europas aus einem Flughafen spaziert. Ich mache mich also auf, den Bus nach Marrakesch zu finden. Die Beschilderung ist sehr verwirrend und
scheinbar bin ich die Einzige, die sich nicht bereits einen
Privattransfer oder ein Mietauto organisiert hat, denn ich bin auf meiner Suche
nach dem billigsten Weg in die Innenstadt alleine.
Mit der Hilfe von ein paar Taxifahrern finde ich schließlich die Bushaltestelle, die aus einem verlorenen Verkehrsschild besteht. Von einem Plan, wann der nächste Bus mit welcher Nummer kommt, oder einer Bank ist hier nichts zu sehen. Na gut, dann warte ich jetzt einfach. Und siehe da - nach zehn Minuten kommt
tatsächlich ein Bus, der mich Mitten ins Chaos namens Marrakesch führt.
Am nächsten Morgen erwache ich in einem Marrakesch, das anders ist, als gedacht. Die Altstadt, in Marokko Medina genannt, ist viel rückständiger als ich es von einer so berühmten Touristenstadt wie Marrakesch erwartet hatte. Alles hier sieht so aus, als wäre es auch schon vor 100 Jahren so gewesen. Die engen staubigen Straßen, die Passanten und ihre Kleidung und die Esel, die sich von Zeit zu Zeit gemächlich ihren Weg durch die Menschenmenge bahnen.
"Marrakesch is the most vibrant city on the planet" flüstert
mir ein Straßenverkäufer verschwörerisch zu und ich lache ich den Kommentar des
fremden alten Mannes ein wenig verächtlich weg. Das hier soll die lebhafteste,
pulsierendste, dynamischste Stadt der Welt sein? Was ist mit New York, Rio,
Delhi? Meine Gedanken werden durch einen Wagen voller Hühner in winzigen
Käfigen, der knapp an mir vorbeifährt, unterbrochen. Ein Albtraum für jeden, der
das Wort Tierschutz kennt. Links neben mir werden Datteln
mit Nüssen angeboten. Weil ich weitergeschuppst werde, bleibe ich nicht stehen.
Hinter mir höre ich eine hitzige Diskussion auf Arabisch, zwei Männer
stoßen sich halb spaßig, halb ernst aneinander. Mir steigt der süßliche
Geruch von Urin in die Nase, oder sind es nur die zermatschte Früchte am Boden? Als
ich mich durch die überfüllten Straßen weiter zum Markt treiben und stoßen
lasse, kann ich nicht aufhören, über die Einschätzung Marrakesch´ dieses Mannes
nachzudenken. Vielleicht ist das hier ja doch - the most vibrant city in the
world?
Egal wohin ich sehe, ich stoße auf Geschäfte mit allem, was
das Touristenherz begehrt. Typisch marokkanische Lampen, die zugegebenermaßen wirklich wunderschön aussehen, Schuhe, Taschen, Magnete, Gewürze, Schmuck. Nachdem ich unzählige austauschbare Straßen dieses Marktes gesehen habe, kommt mir die ganze Stadt wie ein Shoppingcenter vor. Es ist voll, eng und kaufen will ich sowieso nichts, mein Rucksack ist jetzt schon restlos überfüllt.
Und trotzdem finde ich Marrakesch toll. Die lebhafte Stimmung ist zwar zeitweiße erdrückend, aber die ruhigen Gässchen, in die man leicht stolpert aber nicht ganz so leicht wieder rausfindet, sind meine Oase. Marrakesch lebt! Und ich lebe mit.