Die Philippinen entzaubert

10.01.2020

Ich sitze am Flughafen, habe nur wenige Stunden geschlafen und die Lautsprecher wollen einfach nicht aufhören, Informationen in schlechter Audioqualität lautstark zu verkünden. Ich bin müde, auch vom Reisen. Ja, ich gebe es zu - Reisen kann ganz schön oft ganz schön anstrengend sein. Darüber reden wir aber nicht, denn wofür sollen wir die perfekten Instagram-worthy Schüsse erstellen, wenn sie durch unsere Erzählungen wieder entzaubert werden?

Eine unerwünschte Bettgefährtin 

Schlecht geschlafen habe ich, weil ich gestern Abend eine Kakerlake in meinem Zimmer entdeckt habe. Das Ding mit einem Durchmesser von etwa acht Zentimetern wirft bei mir einige Fragen auf. Wie lange ist es schon da? Wo habe ich überall bereits neben Kakerlaken geschlafen, wann dicht daneben getreten? Und: wie viele andere sind noch da, um sich über mich herzumachen, während ich schlafe? Ich wache nach einer unentspannten Nacht mit dem Klingeln des Weckers um 6:15 Uhr auf. Wir müssen einen Flug erwischen und davor noch etliche Kilometer zurücklegen, um den Flughafen zu erreichen.

Ebbe überrascht den Fährenverkehr

Es ist Ebbe und die Fähre, die uns zur großen Nachbarinsel Cebu bringen soll, kann nicht, wie sonst üblich, über den Steg, erreicht werden. So steigen wir mit unserem gesamten Gepäck in ein Miniatur-Holzboot, fahren ein paar Meter und stolpern dann auf offenem Meer auf das größere Tragflügelboot. Eine durchaus wackelige Angelegenheit. Schließlich schippern wir los und kommen, weit vom rettenden Steg entfernt, an. Scheinbar. Denn das Boot bewegt sich nicht mehr und es herrscht Aufbruchsstimmung. Rundherum nur Meer. Einige Minuten verweilen wir so, nichts passiert. Es ist immer noch Ebbe.

Schließlich erbarmt sich ein alter Mann, vielleicht Fischer, und rudert gemächlich auf unser Boot zu. Etwa 14 Personen steigen in seine zerbrechliche Nussschale um, wir bleiben zurück. Das Wasser schwappt nur knapp nicht über die Bootkante. Mit Entsetzen stellen wir fest, dass sich die Passagiere nach einigen Minuten die Hosen hochkrempeln und aussteigen. Immer noch mitten im Wasser. Uns blüht ein paar Minuten später dasselbe Schicksal. Das Wasser sieht aus wie Misosuppe: Trüb und voller Seetang. Immer wieder erkenne ich Seesterne-, und Igel am Boden. Mit meinem Rucksack am Rücken, den Laptop im Beutel um die Schulter hängend und den Füßen im Wasser stapfe ich zum Ufer und frage mich, ob ich den Tiefpunkt des Tages erreicht habe. Im Hintergrund versuchen meine Eltern verzweifelt ihre überfüllten Koffer am Kopf zu balancieren, denn der Weg durchs Wasser ist lange, wenn man 20 Kilo transportiert.

Der Tiefpunkt kommt erst noch 

Unsere Kleidung für den Tag ist bereits um neun Uhr morgens voll geschwitzt, als wir bei unserem Transport am Ufer ankommen. In einem Affentempo geht es zum Flughafen. Dort angekommen brauchen wir Geld, Automaten um dieses zu bekommen sind hier nämlich nicht überall garantiert. Mamas Karte wird geschluckt und ich weiß - der Tiefpunkt war vorher im Meer noch nicht erreicht.

Reisen sind teils anstrengender als das "normale" Leben in der westlichen Welt. Jeder Transport ist ein Kampf und muss organisiert werden. An welchen Ort will ich überhaupt als Nächstes? Was will ich da machen? Wie will ich es machen? Und wie kriege ich es hin, dass es möglichst wenig kostet? Fragen, die teilweise nur mit einem extremen Aufwand beantwortet werden können. Zu Hause muss man sich nicht jeden Tag neu um den Weg in die Arbeit kümmern, weiß, wann man wo was machen soll und muss nicht hundert Angebote am Tag abwimmeln.

Einer der Top 3 Sätze, die man am Flughafen nicht hören will

Schon die Anfahrt auf die Philippinen verläuft suboptimal. "Your ticket is not ok" stammelt uns eine Flughafenangestellte in bei unserem Zwischenstopp in Peking entgegen, die uns unseren Boardingpass nach Manila ausdrucken soll. Warum es "nicht ok" sei, kann sie uns nicht sagen. Nach China einreisen können wir nur mit einem extremen Zeitaufwand, wollen aber während dieses Layovers eigentlich nicht. Standen nicht die Philippinen auf dem Programm? Es ist halb sechs Uhr morgens als uns die Dame am Schalter über unser Schicksal informiert. Sie werde um acht Uhr bei der zuständigen Fluglinie anrufen, davor sollen wir warten. Ohne Boarding Pass kommen wir nicht in den Transferbereich und so sitzen wir zwischen Ländergrenzen am Ende unseres Gates und hoffen auf das Beste. Einen Plan B haben wir nicht.

Wie so oft ist man beim Reisen völlig abhängig von anderen. Von Fluglinien, Bussen und Fremden, denen man eigentlich grundlos Vertrauen entgegenbringt. Reisen bedeutet stunden- und manchmal tagelang nur sitzen und fahren. Reisen ist Orientierungslosigkeit, Schaulustige abwimmeln und ermüdend. Ja, Reisen macht müde, gibt aber auch so viel neue Kraft.

Reisen heißt kämpfen

Denn wenn ich jetzt an meine Abenteuer in teils touristisch "schwierigen" Ländern zurückdenke, denke ich nicht an die verstopften Toiletten und überschwemmten Badezimmer. Ich denke auch nicht daran, dass die meisten meiner Geschichten bei über 30 Grad und einer Schweißschicht auf der Haut spielen. Zu Hause vergesse ich, dass sie mein Magen tagelang gemeldet hat und ich die Hälfte des Inhalts meines Rucksacks mehrmals ins Meer schmeißen wollte, weil ich ihn nicht mehr tragen konnte.

Aber spätestens, wenn ich zu Beginn einer neuen Reise den Flughafen verlasse und den ersten Transport arrangieren muss bin ich wieder damit konfrontiert, was reisen wirklich heißt - abseits von Instagram und Reisemagazinen. So oft heißt reisen auch kämpfen. Aber das ist es wert, denn was man dafür bekommt, ist ganz sicher kein Alltag. 

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