Auf einmal Ausländer

19.02.2020

Oft muss ich Leute daran erinnern, dass ich in Deutschland Ausländerin bin. Gemeinsam lachen wir dann darüber, dass wir wohl alle manchmal vergessen, dass ich nicht deutsche Staatsbürgerin bin. Ganz im Gegenteil, ich bin hier weder geboren, aufgewachsen, noch habe ich Verwandte hier. Kein Gramm an mir ist Deutsch.

"Aber als Österreicherin ist man ja quasi eigentlich nicht richtig Ausländer" lautet der Konsens. Meistens vergesse auch ich, dass ich scheinbar nicht so richtig nach Deutschland gehöre, dass ich hier fremd bin. Und dann gibt es diese Momente, in denen es mir wieder bewusst gemacht wird. "Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht" sagte Rosa Luxemburg. Ich bin nach Berlin gezogen und habe meine Fesseln zu spüren bekommen.

"Die Kaffeekultur in Wien", "irgendwas mit Strache", "eine österreichische Zeitung berichtet...". Kaum fällt einer dieser Sätze, drehen sich die Köpfe aller Studenten des Kurses an meiner Universität zu mir. Einfach lächeln und winken, sage ich mir. Da es sich meist weder um eine Frage noch etwas handelt, zu dem ich meinen Senf dazugeben möchte, sage ich nichts. Die Sekunden verstreichen, alle sehen mich an. Ich lächle schüchtern und möchte mich verstecken. Ich habe kein Problem damit, zu meinem Herkunftsland zu stehen, aber ich bin nicht die Außenkommunikationsstelle von Österreich. Jedes Mal, wenn mein Geburtsland in irgendeinem Kontext genannt wird, wird ein Statement erwartet.

Auskunft

Kübra Gümsay beschreibt in ihrem Buch "Sprache und Sein" eine ähnliche Erfahrung, die Frauen, die ein Kopftuch tragen machen: "Ich war nicht mehr nur ich, Kübra. Ich war auch Muslimin und hatte damit jede Frage zu beantworten, die nichtmuslimischen Menschen zum Thema Islam einfiel. Über die Kriege im Irak und in Afghanistan, über Terrorismus, über Zitate aus dem Quaran - zu allem sollte ich Stellung beziehen. Immer mehr ließ ich mich meiner Individualität berauben. Beantworte bereitwillig jede Frage, recherchiere, mache es mir zur Aufgabe, informiert zu sein"

Oft, wirklich sehr oft werde ich gefragt, ob ich die Tante oder Freundin kenne, die in Österreich lebt. Nein. Ich bin mir manchmal nicht sicher, ob die Leute wissen, dass Österreich nicht einem Dorfplatz gleicht, sondern ein Land ist, das nicht mal so winzig ist. Nein, deine Freundin Sarah kenne ich nicht. Sie wohnt in Vorarlberg, ich in Wien und dazwischen fast neun Millionen andere Landsleute.

Generell bin ich oft überrascht darüber, wie die Leute Österreich wahrnehmen und wie ich in dieses Bild passe. Einerseits nehmen viele Deutsche hier auf den ersten Ton an, ich sei aus Berlin. Wenige Bewohner dieser Stadt sind hier geboren, einen etwas anderen Stimmklang zu hören ist nicht ungewöhnlich. Andere aber meinen, man höre sofort, dass ich nicht von hier komme. Meistens wird auf Schweiz oder Bayern getippt, meinen Job als Außenkommunikationsstelle Österreichs mache ich wohl nicht besonders gut.

Sprache als Beweis der Andersartigkeit

Es kränkt mich, wenn Menschen mir über meine Sprache erklären, wie offensichtlich anders ich bin. Auch wenn sie grundsätzlich keine negativen Worte verwenden, um zu beschreiben, wie anders ich rede, zeigt es mir, dass ich nicht dazugehöre. Ich versuche aktiv, meine Sprache in Deutschland anzupassen indem ich Worte verwende, für die ich in Österreich ausgelacht werden würde. "Krass" sagt kein Österreicher, und wenn er es doch sagt, dann wahrscheinlich nur, weil er dich als Deutscher neckisch nachmachen will. Ich sage jetzt "laufen" statt "gehen", sage "ne" und habe mich schon mal beim Verwenden des Plusquamperfekts erwischt.

In Österreich gebe ich mein Bestes, um meiner Sprache nicht anmerken zu lassen, dass nicht nur Ich sondern auch Sie sich durch meinen Umzug ins Ausland verändert hat. Ich bin immer noch Österreicherin, klinge aber für die Meisten Ösis nicht so. Für viele Deutsche klinge ich nicht Deutsch. Ich sitze irgendwo im Niemandsland dazwischen, überall ein bisschen anders als die anderen. "Sorry, ich habe dich nicht verstanden, du redest so lustig" höre ich von einem Kommilitonen, der mich angrinst. Der Kommentar ist mittlerweile ein halbes Jahr her, verunsichert mich aber immer noch.

Lernen, Erwachsen zu sein 

Für mich ist es wunderlich, so wahrgenommen zu werden, als spräche ich mit einem offensichtlichen Dialekt. Sprechen und leben lernte ich in Wien in einem Bezirk, in dem Hochdeutsch gesprochen wird. Richtiges Österreichisch (was übrigens von Region zu Region differenziert werden muss) habe ich, wie meine deutschen Bekannten, nur im Urlaub gehört. In meiner Schule wurde ich auf Hochdeutsch unterrichtet, mit meinen Freunden redete ich so, dass Seniorinnen in der Straßenbahn tuschelten, dass die Jugend heutzutage alle nur mehr reden wie die "Bifken" (österreichisch für Deutsche)

Nach dem "sprechen und leben lernen" in Wien kommt jetzt das "erwachsen sein lernen". Sich mit Dingen wie Steuer, Krankenkasse und Rentenvorsorge zu beschäftigen, macht niemanden Spaß. Egal, wie überfordert jemand damit in meinem Alter sein könnte - stell dir vor, du müsstest all das im Ausland lernen, wo du als "anders" oder "Sonderfall", sprich als Ausländer behandelt wirst.

Ich konnte mich nicht einfach bei einer Uni einschreiben. Ich musste erst Sondergenehmigungen, Bestätigungen und Extradokumente einreichen, um studieren zu können. Genauso sieht es aus, wenn mich ein neuer Arbeitgeber anmelden will. Es ist kein schönes Gefühl, wenn man bemerkt, dass man mehr machen muss als Andere, aus dem einfachen Grund, dass man nicht in Deutschland geboren ist. "Nein, Abi habe ich keins" stößt erst mal auf unfreundliche Reaktionen, zu beweisen, dass ich einen gleichwertigen ausländischen Abschluss habe, ist mit viel Extraaufwand verbunden.

"Und, wann gehts wieder nach Hause?"

Gemeinsam mit Kommilitonen aus ganz Deutschland sitze ich zusammen und wir wollen unserem Dozenten den Stand unseres Projekts präsentieren. "Und, wann gehts wieder nach Hause?" fragt er freundlich und sieht mich an. Zu Hause? Welches jetzt genau? Ich bin gleichermaßen in Berlin wie auch in Wien zu Hause. Die anderen Studenten fragt er nicht, wann es wieder zurückgeht. Sie sind aus Bayern, dem Schwarzwald, Heidelberg - Gebiete, die zum Teil mindestens genauso weit entfernt von Berlin sind wie Wien. Berlin wird ihnen als neues Zuhause nicht abgesprochen, warum dann mir?

Die Wohnungssuche, auf der ich gerade bin, läuft fast ausschließlich über die Daten meines Freundes. Seine Telefonnummer hat keine Vorwahl, seine Bank und Krankenkasse sind Deutsch. Seine Daten sind unkompliziert. Beginnt man die Telefonnummer mit einer Vorwahl folgen Fragen. Fragen, die zwar nicht böse gemeint sind, aber bewusst machen, dass es scheinbar Erklärungsbedarf zu meiner Herkunft gibt.

Wo fängt Diskriminierung an?

Bis jetzt hat noch niemand aus bösem Willen gehandelt, um mich aufgrund meiner Herkunft auszuschließen. Denke ich zumindest. Obwohl ich als Österreicherin ja quasi nur "Halb-Ausländerin bin", wie mir oft gesagt wird, bringen mich die damit verbundenen Reaktionen oft ins Grübeln. Was ist Diskriminierung, wann fängt sie an? Muss man dafür eine böse Absicht haben oder Rassist sein?

Als ich mich vor zwei Jahren, als ich nach Deutschland gezogen bin, erstmals mit diesen Gedanken auseinandersetze und die eben beschriebenen Erfahrungen machte wusste ich noch nicht, dass viele Ausländer genau diese Beobachtungen machen. Jetzt, nachdem ich mich tiefer mit dem Thema Rassismus beschäftigt habe weiß ich, dass ich rassistische Erfahrungen gemacht habe und in meinem täglichen Leben mache. Vor zwei Jahren, nicht mal vor einem halben Jahr, hätte ich diese Erfahrungen und Gedanken nicht so betitelt. Jetzt aber kann ich sehen, dass meine Erfahrungen sich mit denen anderer Betroffenen decken.

Ich bin gerne Österreicherin, will nicht Deutsch sein. Manchmal aber will ich mich für meine Herkunft verstecken. Ich will nicht immer "die Österreicherin" sein. Ich bin Sonja, die Weltenbummlerin, die Lustige, die Ambitionierte, von mir aus auch einfach nur die mit den braunen Haaren. Individualität ist ein Privileg. Wahrscheinlich durchlebe ich gerade das Best-Case Szenario. Deutsch ist meine Muttersprache, ich komme aus einer Großstadt, deren Kultur der deutschen sehr ähnlich ist und habe deutsche Freunde und einen deutschen Freund, die mir helfen können, wenn es um Daten oder Berechtigungen geht. Aber selbst ich werde oft daran erinnert, dass ich nicht zu 100% dazugehöre - wie muss es dann jemanden gehen, der nicht nur "Halb-Ausländer" ist, als der ich gerne bezeichnet werde?

Ich will überrascht bleiben 

Der Philosoph Rabbi Abraham Joshua Heschel schreibt: "Ich würde über Individuen sagen, dass ein Individuum stirbt, wenn es aufhört, überrascht zu sein. Ich bin jeden Morgen aufs Neue überrascht, wenn die Sonne scheint. Wenn ich eine böse Tat sehe, bin ich nicht indifferent. Ich gewöhne mich nicht an die Gewalt, der ich begegne; ich bin immer noch von ihr überrascht. Deshalb bin ich dagegen, deshalb kann ich ihr meine Hoffnung entgegensetzen. Wir müssen lernen, überrascht zu sein, nicht uns anzupassen. Ich bin die am schlechtesten angepassten Person der Gesellschaft". Deshalb schreibe ich diesen Text und meine Beobachtungen auf und will daran erinnern, wo Rassismus anfängt. 

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