So ist Freiwilligenarbeit in Afrika wirklich
"So, und weil ich euch nicht länger davon abhalten will, Zeit mit den Kindern zu verbringen, könnt ihr gleich die große Pause mit ihnen im Pausenhof verbringen". Oh Gott, auf was hab ich mich da eingelassen?
Als ich an meinem ersten Arbeitstag den Pausenhof der Schule betrete, bin ich nervös. Obwohl ich in den letzten Wochen so sorglos war, habe ich auf einmal Bedenken: Es könnte schwer werden, eine Beziehung zu den Kindern aufzubauen. Würden sie mich akzeptieren und mögen? Würden wir uns gut verständigen können? Vielleicht würde es ja so werden wie in Bali, wo mich alle Kinder während des Unterrichtens nur angestarrt hatten und so nicht getraut haben, zu interagieren. Vielleicht würden auch diese Kinder sich nicht richtig trauen, auf mich zuzugehen oder mit mir zu reden. Würde ich überhaupt mit ihnen in Berührung kommen?
Kaum habe ich den letzten Gedanken zu Ende gedacht, spüre ich etwas an meinem T-Shirt zerren. Und an meinen Beinen und an meinen Armen und Händen. Ich war gerade erst aus dem Klassenraum spaziert und habe nicht mal zehn Meter zurückgelegt, schon war ich umzingelt von Kids, die mich umarmen und mit mir sprechen wollten.
Die Kinder in Afrika
"Hello Teacher. What´s your name teacher?" Immer und immer wieder beantworte ich dieselbe Frage. In den ersten Minuten erfahre ich so viele Kindernamen, dass ich jeden einzelnen am Ende der Pause bereits lange vergessen hatte. Manche Kinder, die zu schüchtern oder schlicht nicht in der Lage sind, mit mir auf Englisch zu sprechen, grinsen mich einfach an, oder nehmen meine Hand. Kinder kommen und gehen, begrüßten mich nur kurz oder bleiben die ganze Pause bei mir. Wir spielen Fangen, sie bringen mir Handklatschspiele bei, ich werde zum lebenden Klettergerüst umfunktioniert und wir verbringen viel, viel Zeit mit Reden, Kuscheln und Umarmen. Das jeden Tag zweimal für eine halbe Stunde, bis die laute, schrille Glocke zu hören ist, und die Kinder wieder in ihre Klassenräume stürmen. Dort muss die Hälfte von ihnen am Boden Platz nehmen, weil das Geld nicht reicht, um mehr Stühle und Tische zu kaufen.

Täglich sind es die anstrengendsten aber schönsten zwei halben Stunden am Tag. Die Pausen rauben mir zwar unglaublich viel Energie geben aber die doppelte Dosis an Energie und Wärme wieder zurück. Nach wenigen Tagen habe ich so eine Bindung zu den Kindern aufgebaut, dass ich sofort merke, wenn eines meiner Lieblingskinder nicht in der Schule ist. Eines Freitags ist einer meiner Lieblingsjungs, Robin, nicht da. Der Junge ist mir bereits anfangs aufgefallen, weil er wunderschöne grüne Augen hat, die im Kontrast zu seiner braunen Haut unglaublich herausstachen. Außerdem hat er Sommersprossen, was für Jungen mit seiner Hautfarbe ungewöhnlich ist, und träg stets eine blaue, ärmellose Gilet Jacke. Ich habe ihn sofort ins Herz geschlossen, und auch er, obwohl er einer von den cooleren Jungs ist, schien sich immer zu freuen, mich zu sehen. Robin war also am Freitag nicht da, und ich hatte am Montag von meiner Organisation aus anderes Programm, ging also nicht in die Schule. Wir beide hatten uns vier Tage nicht gesehen, und ich muss zugeben, dass ich ihn tatsächlich vermisste. Als ich am Dienstagmorgen bei dem Erklingen der Pausenglocke das Lehrerzimmer verlasse, halte ich nach ihm Ausschau. Bei all den Kindern die am Pausenhof herumschwirren, wird es schwer werden, ihn zu finden, denke ich. Doch nach drei Schritten in den Pausenhof sehe ich den Jungen freudestrahlend auf mich zulaufen. Robin, der Junge, der in dem Alter war, in dem durchschnittliche Jungs in Europa eigentlich zu cool für alles andere außer Computerspiele spielen sind, springt, begeistert mich wiederzusehen, an mir hoch und wir umarmen uns für eine Ewigkeit. "Du warst gestern nicht da." "Und du am Freitag nicht!" Wir grinsen und an bis er sich meine Kappe schnappt und davonläuft. Es würde also auch diese Pause keine ruhige, entspannende werden.
Vier Regeln für Südafrika
Die Idee mit der Kappe habe ich mir bei einer anderen Freiwilligenarbeiterin abgeschaut. Wenn die afrikanischen Kids nämlich nach einem verrückt sind, dann nach glatten, für sie unglaublich seidigen Haaren. Mit unglaublich seidigen Haaren meine ich tatsächlich meine eher durchschnittlichen Haare, die aber im Vergleich zu Afrikanischen Afros zugegeben im Ranking des Seidigkeitsfaktors nach oben steigen. Kaum eine Minute vergeht, ohne das eines der Kids sie berührt, um den Finger wickelt, verknotet, und versucht sein Talent als Friseurin zu erproben. "Teacher, you have such nice hair" "Teacher, I like your hair" "Teacher, why is your hair so nice?" Tja, mein hair würde aber nicht lange weiterhin so nice bleiben, wenn sich pausenlos schmutzige Kinderhände darin verfingen und sich austobten. Ich stellte also die Soni-Regeln auf.
- Regel Nummer 1: No hair touching
- Regel Nummer 2: Don´t pull of my rings
- Regel Nummer 3: Just English
- Regel Nummer 4: Don´t fight or throw rocks
Ja, richtig gelesen, die Kids schmeißen wirklich mit Steinen um sich, als wären es Gummibälle, deren Schlag aus nächster Nähe deutlich weniger wehtun würde. Glücklicherweise komme ich, oder keiner der anderen Freiwilligenarbeiter jemals in die Situation, mit einem Stein von den Kindern beworfen zu werden. Die Mitschüler der Steinwerfer leben da schon gefährlicher. Gibt es Auseinandersetzungen jeglicher Art, werden Steine geworfen. Gibt es keine Auseinandersetzung, fliegen so trotzdem "Teacher, wir spielen ja nur" lachen sie und machen weiter.
Laischas Geschichte
Einem Kind, dem ich, im Gegensatz zu den Stein-schmeiß-Opfern, helfen konnte ist Laischa. Sie ist 12 Jahre und lebt, wie alle Kinder, die die Christian David Primary School besuchen, in Capricorn, einem armen Township, in dem sie von Kriminalität umgeben ist. Laischa ist kein besonders hübsches Mädchen, gibt sich auch nicht weiblich und scheint nicht viele Freunde an der Schule zu haben. Sie und ihr bester Freund aber sind unzertrennlich. Laischas Englisch ist tadellos, während das ihres besten Freundes Cowen quasi inexistent ist. Kein Problem aber für Laischa, die gerne und gekonnt den Übersetzer für uns spielt.

Zwischen uns entwickelte sich etwas was ich wirklich als Freundschaft bezeichnen würde. Laischa mochte zwar erst zwölf sein, benimmt sich aber weitaus erwachsener und ich merkte einen riesigen Unterschied zwischen ihr und den anderen, meist jüngeren Kids, mit denen ich meine Zeit verbringe. Wir sprechen über alles und manchmal minutenlang über nichts. Sie genießt meine einfache Präsenz, das merkte ich. Manchmal sitzen wir auf den aufgeblasenen Autoreifen, die mitten im Pausenhof liegen und schauen den anderen Kindern beim Spielen zu. Laischa erzählt mir, dass sie jedes Wochenende auf den Muizenberg Peak, einen Hügel in dem Ort, in dem ich wohne, hinauf wandert. Ich erzähle ihr, was ich an den Nachmittagen mache und fragte sie, ohne groß darüber nachzudenken, ob sie sich auf den Nachmittag freuen würde. Da wird sie still, und das Dauerlächeln, dass sie stets im Gesicht hat, wenn wir miteinander sprechen, sieht plötzlich nicht mehr so ehrlich aus. Sie mag den Nachmittag nicht. Ihr ist langweilig, sie hat nichts, mit dem sie sich die Zeit vertreiben könne, sagt sie. Auf meine Frage, was mit den anderen Kindern sei, gibt sie eine Antwort, die sie in meinen Augen zur Superheldin werden lässt.
Die anderen Kinder wollen immer nur streiten, kämpfen und prügeln. Aber das will sie nicht, also verbringt sie viel Zeit alleine. Ja, Laischa hat recht. Es gab nicht viel zu tun in Capricorn, einem trostlosen Gebiet, in dem kaum eine Familie mehr besitzt, als die Blechhütte, in der sie haust. Es ist ein unglaublich gefährlicher Ort, auch für solch ein junges Mädchen wie Laischa. Es fällt mir schwer, keinen Lösungsvorschlag bringen zu können. War ich nicht nach Afrika gekommen, um so viel zu helfen, wie ich konnte? Frustrierend.

Ein paar Tage später gebe ich Einzelnachhilfe im Lesen. Dazu hole ich Kinder aus ihren Klassen um mit ihnen englische Bücher zu lesen. Die Kinder plagen sich bei jedem Wort und ich helfe oder bessere aus, wenn sie ein Wort falsch aussprechen. Die meisten dieser Kinder sind etwa acht Jahre alt, und wir lesen sehr simple Kinderbücher zusammen. Als ich Laischa in der Pause davon berichte, leuchteten ihre Augen und sie hat eine Idee "Soni, Soni, can you get me the next time? Please, please, please" Ich würde es versuchen, versichere ich, aber versprechen kann ich es nicht, da ich eigentlich nur Kindern helfen soll, die gerade erst gelernt hatten, auf Englisch zu lesen. "Ich kann auch nicht auf Englisch lesen" gibt die Zwölfjährige zu.
Als ich Gelegenheit habe, das nächste Kind für eine Privatlesestunde zu holen, spaziere ich in die Klasse 6B und frage nach meinem Lieblingsmädchen. Freudestrahlend folgt sie mir in das Zimmer das als Bibliothek, Lehrerzimmer, Computerraum und eben auch als Nachhilferaum gilt. Wir schlagen das Buch auf und, siehe da, natürlich kann sie lesen. Nach wenigen Minuten gebe ich ihr ein neues Buch zu lesen, eines von den schwierigeren, regulären Englischbüchern - kein Problem für Laischa. Wäre ich nicht schon davor Feuer und Flamme von dem Mädchen gewesen, wäre ich es spätestens jetzt geworden. Umgeben von unzähligen, chaotisch sortierten Büchern, und einem lesebegeisterten Mädchen kommt mir eine Idee. Ich erlaube ihr, sich zwei Bücher auszusuchen und sie mit nach Hause zu nehmen. Ich bin mir sicher, es war mir nicht erlaubt, dieses Angebot zu machen, aber was soll´s, hoffentlich liest der afrikanische Schuldirektor das hier niemals und findet es heraus.